Richard Doves neue Gedichtsammlung ist der Versuch, Stefan Georges im Grunde prämodernen Jahreszeitenzyklus »Das Jahr der Seele« (1897) unter den Bedingungen der Nachmoderne fortzuschreiben. Auf 92 klassisch-getragene Gebilde antworten 92 Bruchstücke aus der zeitgenössischen Zersplitterung. Wie groß das Gefälle geworden ist, zeigt schon die Neuschreibung des berühmten Georgeschen Jugendstilgedichts »Komm in den totgesagten park und schau.« Und wo bleibt die Seele? Heute, im Zeichen des Transnationalismus, wandert der Reisende unruhig durch eine unfertige Welt und muß, wie die afrikanischen Nomaden, immer wieder plötzlich stehenbleiben, damit seine Seele ihn einholt.
Dove, Richard
Richard Dove, geb. 1954 im englischen Bath, lebt seit 1981 mit Unterbrechungen in Bayern, zunächst in Regensburg, seit 1987 in München. Sieben Gedichtbände, darunter in der Lyrikedition 2000 beim Allitera-Verlag die zweisprachige Sammlung Aus einem früheren Leben, aus dem Englischen u.a. von Ulrike Draesner, Hans Magnus Enzensberger, Reiner Kunze, Friederike Mayröcker und Joachim Sartorius (2003) sowie Die zwei Jahreszeiten (2016). Daneben Herausgaben (darunter unveröffentlichte Gedichte aus Friedrich Rückerts Nachlass), Lyrik-Übersetzungen ins Englische und Deutsche (seine Mayröcker-Übertragungen, Raving Language. Selected Poems 1946-2006, standen auf der Shortlist für den Oxford-Weidenfeld Translation Prize) sowie Aufsätze zur Poesie (u.a. über August von Platen in der Frankfurter Anthologie vom 19.02.2022).
Seiten | 148 |
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